Bundesgerichtshof: Bei Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit spielen Kosten keine Rolle!  



Der Bundesgerichtshof hat am 12. März 2003 (Az: IV ZR 278/01) ein sehr wichtiges Urteil erlassen: Er hat - zum Teil unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung - klargestellt, dass der private Versicherer nicht berechtigt ist, die unter §1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76 beschriebene Erstattungspflicht für die "medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheits- oder Unfallfolgen" unter Berücksichtigung von Kostengesichtspunkten zu beurteilen.



Streitig war die Erstattung von stationären Kosten - ohne Arztkosten - einer privaten Belegklinik, die nicht der Bundespflegesatzverordnung unterliegt. Die private Krankenversicherung hatte gegenüber dem Versicherten geltend gemacht, die von der Privatklinik berechneten Fallpauschalen seien im Vergleich zu tagesgleichen Pflegesätzen anderer Krankenhäuser um etwa 900 Prozent sittenwidrig überhöht. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76 sei sie nur für die kostengünstigste Heilbehandlung erstattungspflichtig und dürfe ihre Leistungen gemäß § 5 Abs. 2 MB/KK 76 auf angemessene Beträge reduzieren.

Bundesgerichtshof: Kostengesichtspunkte sind den Versicherungsbedingungen nicht zu entnehmen

Der Bundesgerichtshof missbilligte dieses Vorgehen der privaten Krankenversicherung und führte aus, die Einbeziehung von Kostengesichtspunkten bei der Beurteilung, was als medizinisch notwendig zu erstatten sei, lasse sich aus §1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76 nicht entnehmen. Aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers sei die Notwendigkeit der Heilbehandlung allein aus medizinischer Sicht zu beurteilen. Für den Versicherungsnehmer ergebe sich aus der Regelung nicht, dass der Versicherer seine Leistungspflicht auf die billigste Methode beschränken wolle bzw. könne.



Diese Rechtsprechung wendet der Bundesgerichtshof nun-mehr auch auf die Regelung des § 5 Abs. 2 MB/KK 76 an, die dem Versicherer die Befugnis einräumt, bei einer das medizinisch notwendige Maß übersteigenden Heilbehandlung - die so genannte Übermaßbehandlung - seine Leistung auf einen angemessenen Betrag zu reduzieren. Der Bundesgerichtshof führte aus, dass sich diese Übermaßregelung nach der herrschenden Meinung - und auch nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - zwar auch auf einen im Verhältnis zum medizinisch notwendigen Behandlungsumfang überhöhten Vergütungssatz beziehe. An dieser bisherigen Rechtsprechung halte der Bundesgerichtshof aber nicht mehr fest, denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne dem Wortlaut dieses Paragrafen nicht entnehmen, dass mit der Überschreitung des medizinisch notwendigen Maßes auch ein wirtschaftliches Übermaß gemeint sei.

Die Rechtsprechung, wonach bei medizinisch gleichwertigen Behandlungen nur die kostengünstigere erstattet werden muss, ist obsolet

Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs hat weit reichende Bedeutung für die Praxis auch bei der Erstattung zahnmedizinischer Heilbehandlungskosten: In den vergangenen Jahren sind die privaten Krankenversicherer fast regelmäßig dazu übergegangen, ihre Versicherungsleistungen gegenüber dem Versicherten herabzusetzen mit der Behauptung, nach den vertraglichen Bestimmungen seien sie lediglich verpflichtet, die kostengünstigere Heilbehandlung zu erstatten bzw. das berechnete zahnärztliche Honorar oder auch die zahntechnischen Laborkosten seien unangemessen hoch. Dieser Praxis der Versicherungen ist nunmehr mit dem aktuellen Urteil ein Riegel vorgeschoben worden.



Insbesondere die durch das Oberlandesgericht (OLG) Köln begründete Rechtsprechung, wonach der Versicherer verpflichtet sein sollte, bei medizinisch gleichwertigen Behandlungsalternativen lediglich die kostengünstigere zu erstatten, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs obsolet. Praktische Auswirkungen hatte die Rechtsprechung des OLG Köln, auf die die privaten Krankenversicherungen zunehmend ihr Erstattungsverhalten ausrichteten, häufig bei Implantatversorgungen: Aus Kostengründen seien sie lediglich verpflichtet, Erstattung für eine Versorgung mit einer teleskopierenden Modellguss-Prothese statt einer Versorgung mit festsitzendem implantatgetragenen Zahnersatz zu leisten (zum Beispiel im Urteil des OLG Köln vom 22. Oktober 1997, Az: 5 U 94/97).´

 


Auch im Bereich der vielfältigen Leistungskürzungen bei den zahntechnischen Laborkosten kann nunmehr die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeführt werden, soweit die einschlägigen Versicherungsbedingungen des Versicherers hierzu keine ausdrücklichen einschränkenden Kostenerstattungsregelungen enthalten.



Fazit: Leistungseinschränkungen durch die Hintertür sind nach dieser BGH-Rechtsprechung nicht mehr möglich!



Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. März 2003 ist ausgesprochen begrüßenswert, da es den privaten Krankenversicherer anhält, die von ihm beabsichtigten Leistungseinschränkungen in seinen Versicherungsverträgen bzw. Versicherungsbedingungen klar und für den Versicherten erkennbar zu regeln. Leistungseinschränkungen durch die Hintertür sind der Versicherung auf Grund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nunmehr verwehrt. Es bleibt abzuwarten, wie die privaten Krankenversicherer auf diese aktuelle Rechtsprechung reagieren werden. Zu erwarten ist, dass sie ihren Leistungsumfang nunmehr in ihren allgemeinen Versicherungsbedingungen regeln müssen, wenn sie sich auf einen beschränkten Leistungsumfang berufen wollen.